Tollkirsche, Stechapfel, Bilsenkraut und Alraune sind die in unseren Breiten klassischen Giftpflanzen. Die meisten ungewollten Vergiftungen kann sicher die Tollkirsche für sich in Anspruch nehmen. Ihre appetitlich aussehenden, schwarzglänzenden oder gelben (Varietät) Beeren laden förmlich zum probieren ein.
Matthiolus schrieb im 17 Jahrhundert:
Im Gart der Gesundheit von 1485 heißt es:
Die Beschreibungen geben bereits einen Hinweis auf die gefährliche Wirkung der Tollkirschen. 10 bis 20 Früchte der Pflanze gelten als tödliche Dosis für einen Erwachsenen.
Die Tollkirsche ist eine mehrjährige Staude mit länglichen Blättern und braunvioletten Blüten in einem fünfzackigen, grünen Kelch. Eine seltene Varietät ist die gelbe Tollkirsche, Atropa belladonna var. lutea. Sie zeichnet sich durch gelbe Blütenblätter und einen geringeren Tropanalkaloidanteil aus.
Tollkirsche Bezeichnungen
Botanisch bezeichnet man die zur Familie der Nachtschattengewächse gehörende Tollkirsche als Atropa belladonna. Der Gattungsname Atropa, die Grausame, leitet sich von einer der drei Schicksalsgötinnen, die über Leben und Tod bestimmen, ab. Atropa ist die Göttin, die den Lebensfaden durchtrennt. Die Bezeichnung weist bereits auf die Gefährlichkeit der Pflanze hin. Als Zauberpflanze hatte sie, aus diesem Grund keine so bedeutende Rolle. Als Gift wurde sie jedoch schon seit Jahrhunderten verwendet. Oft wird die Tollkirsche auch als Grundmittel für Hexensalben oder magisches Räucherwerk aufgeführt. Die durch Überlieferung bekannten Wirkungen, wie das Gefühl von freiem Flug oder orgiastische Halluzinationen sind heute durch zahlreiche Selbstversuche bestätigt. In Hexenprozessen zwang man die Beschuldigte oft Tollkirschen zu essen. Wahnsinnszustände, sinnlose und verwirrte Reden sowie Selbstbezichtungen waren die Folge.
Die Landestypischen Bezeichnungen für die Tollkirsche sind nahezu unerschöpflich so dass hier nur ein paar wenige aufgezählt werden sollen, wie beispielsweise Hexenbeere, Hexenkraut, Satanskraut, Schlafbeere oder Teufelskraut.
Indikationen
Die Tollkirsche nutzt man als Aphrodisiakum und Schmerzmittel. Sie wird als hilfreich beschrieben bei der Behandlung von Gelbsucht, Wassersucht, Keuchhusten, konvulsivischem Husten, Nervenkrankheiten, Scharlach, Epilepsie, Erkrankungen der Harnorgane und Atemwege und dient der Pupillenerweiterung (Mydriase). Weiterhin dient das in ihr enthaltene Atropin als Schutz vor Nervengas (Phosphorsäureester) und zur Lösung von Krämpfen. Von der Einnahme von Tollkirschen ist abzuraten, weil der Tropanalkaloidanteil extrem schwanken kann. Versuche mit Atropa belladonna enden nicht selten tödlich durch Atemlähmung. Tollkirschenblätter und Tollkirschenwurzeln sind Verschreibungspflichtig.
Tollkirsche Wirkung und Verwendung
Als Droge dienen sowohl die Blätter als auch Wurzel und Beeren.
Die Blätter werden von Mai bis Juni geerntet, getrocknet und lichtgeschützt aufbewahrt. Die Beeren werden geerntet, sobald sie reif sind und werden dann ebenfalls getrocknet. Die so getrockneten Pflanzenteile werden bevorzugt in Räuchermischungen verwendet.
In der Enzyklopädie von Christian Rätsch wird auf die Wirkung bei der Einnahme von frischen Beeren eingegangen. Rätsch führt hierzu folgende Dosierungen an:
1 – 2 Tollkirschen führen zu leichten Wahrnehmungsveränderungen
3 – 4 Tollkirschen gelten als als psychoaktives Aphrodisiakum
3 bis maximal 10 frische Tollkirschen sind die halluzinogene Dosis.
Bei Kindern sollen bereits 3 Tollkirschen zum Tode führen können. Aufgrund der Tatsache, dass der Tropanalkaloidanteil in den Pflanzen stark varriiert, ist aus meiner Sicht dringend von einer Einnahme abzuraten.
Nach der Einnahme von Pflanzenteilen der Tollkirsche, oder den Tollkirschen stellen sich bereits nach 15 Minuten die ersten Vergiftungserscheinungen ein. Roth schreibt dazu in seinem Buch “Giftpflanzen – Pflanzengifte”: psychomotorische Unruhe, allgemeine Erregung, nicht selten auch in erotischer Hinsicht, Rededrang, starke Euphorie, aber auch Weinkrämpfe, starker Bewegungsdrang, Intentionsstörungen, manirierte, stereotype Bewegungen, choreatische Zustände, Ataxie, Ideenflucht, Umnebelungsgefühl, Irrereden, Schreien, Halluzinationen der verschiedensten Art. Zunahme des Erregungszustandes bis zu Anfällen von Tobsucht, Wut, Raserei, mit völliger Verkennung der Umgebung. Durch Tollkirschen ausgelöste Halluzinationen werden als teuflisch und zutiefst erschreckend beschrieben.
Eingesetzt wird die Tollkirsche aufgrund ihrer hohen toxität hauptsächlich in der Homöopathie.
Die Tollkirsche enthält Tropanalkaloide wie Hyoscyamin, das beim trocknen zu Atropin wird. Auch Apoatropin, Scopolamin, Tropin, Pseudotropin, Tropinon, Hygrin, Hygrolin, Cuscohyrgrin. Atropin verhindert durch kompetitive Inhibition der Acetylcholinrezeptoren an der postsynaptischen Membran die Signalübertragung der Nervenleitungen. Das Physostigmin der Kalabarbohne wird bei Vergiftungen durch Atropin als Antidot eingesetzt, weil es durch Hemmung der Cholinesterase den Abbau des Transmitterstoffes Achetylcholin verhindert. Die Wirkung gilt vice versa. So ist Atropin ein Antidot zu Physostigmin.
Von Experimenten mit Tollkirschen muss dringend abgeraten werden.
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