Der Volkskundler und Mythologe Johann Wilhelm Emanuel Mannhardt vermutet in unserem alten Holunder den Weltenbaum Yggdrasil, den der Dichter der Völuspá zur Esche umdeutete. Ein Indiz für diese Vermutung liefert die Verwendung der geräucherten Früchte des Weltenbaumes als geburtshilfliches Mittel. Wofür die Esche zumindest keinesfalls in Frage kommt. Der Holunder, aber auch die Eberesche und die Buche, jedoch schon. Hinzu kommt das Ansehen, welches der Holunder im deutschen Volksglauben geniesst, so dass unsere Kräuterkundigen des ausgehenden Mittelalters es nicht für notwendig erachteten, viele Worte über ihn zu verlieren. Sei er doch jedermann in Aussehen und Wirkung bestens bekannt.
Um die Wertschätzung für den Holunder, den man auch Holder oder Holler nannte, zu verstehen, will ich kurz auf die Vorstellungswelt unserer Ahnen eingehen.
Im animistischen, germanischen Glauben ist der Mensch aus den Pflanzen hervorgegangen. So werden Askr und Elmja, Esche und Ulme, als die Bäume angesehen, aus denen sich Mann und Frau bildeten. Später wurde diese Vorstellung dahingehend umgedeutet, dass Odin, Thor und Loki zwei Baumstämme finden, denen sie Leben einhauchten.
Dass solch eine nachträgliche Umdeutung stattfand, legt der Vergleich mit anderen Schöpfungsgeschichten nah. So entstanden nach den Vorstellungen der Eranier, im damaligen Zentralpersien, Mann und Frau aus der Reivapflanze, dem persischen Rhababer. In der Mitte ein Stamm, sich um die Köpfe umarmend war diese Pflanze vollkommen und eins. In sie goß Ahuramazda die Seele hinein, so dass die ersten Menschen, Maschia und Maschiâna aus ihr hervorgingen. Was eins und vollkommen war, trennte sich an dieser Stelle. Eine Vorstellung, die bis in unsere Zeit reicht. Denn noch heute spricht man von der zweiten Hälfte und der Verbindung zur ehemals vorhandenen Vollkommenheit, wenn man den richtigen Partner findet.
Ähnliche Vorstellungen finden sich in anderen Kulturen. Bei den Sioux glaubte man, dass die ersten Menschen, Mann und Frau, in Form von zwei Bäumen im Boden standen. Bis eine große Schlange kam und ihnen die Wurzeln zertrennte, worauf sie als Menschen weiter lebten.
Die Erkenntnis, dass der Mensch ein Baum, und auch die Umkehrung, dass der Baum ein Mensch ist, findet sich tief verwurzelt in der Vorstellungswelt unserer Ahnen. Der Baum ist der Ursprung unserer Schöpfung und darüber hinaus ein geheimnisvolles und übernatürliches Wesen. Der Holunder nimmt in dieser Vorstellung wohl die wichtigste Stellung ein. Man ist fest davon überzeugt, dass der Holunder die Macht besitzt, Mensch und Tier zu schaden. Er ist in der Lage Krankheit durch Elben zu schicken. Aber genausogut ist der in ihm lebende Baumgeist in der Lage, sie wieder abzunehmen. Letztere Vorstellung bezieht natürlich nicht nur den Holder ein, sondern auch andere Bäume. Doch findet sich für keinen Strauch oder Baum solch eine Verehrung, wie für den Holler. So grüßte noch meine Großmutter den Holler, den sie als Frau Elhorn bezeichnete und vermied es ihn zu schneiden oder zu verunreinigen. Der Holunder ist heilig und unverletzlich. Wer ihn umhaut, den plagen hernach Krankheit und Tod.
Doch ebenso konnte man sich von Leid und Krankheit befreien, indem man sie dem Holler mit einem Spruch oder einer Zeremonie übergab. Besonders Fieber und Gicht übergab man ihm und befreite sich so von dem Leid. An Tagen wie dem St.-Johannis-Tag ass man um 12:00 Uhr mittags unter der Feueresse eine in Butter gebratene Holunderdolde, um das ganze Jahr über vor Fieber gefeit zu sein. Und auch als Schutz vor Hexen und bösen Zauber schützte der Holler, wenn er vor das Haus oder den Stall gepflanzt wurde.
Über die Ehrerbietung aber auch Ängste, die unsere Ahnen dem Holunder entgegenbrachten, liesse sich ein ganzes Buch schreiben. Ich möchte mit der Bedeutung im Volksglauben an dieser Stelle abschliessen und kurz noch auf die Verwendung in der Volksheilkunde eingehen.
Die Verwendung des Holunders in der Volksheilkunde
Den Holunder kann man wohl unzweifelhaft als die lebendige Hausapotheke des deutschen Einödbauern bezeichnen, wie Max Höfler es treffend formulierte.
Man verwendete ihn zur Behandlung von Fieber, Erkältung, Mund- und Halskrankheiten, Wassersucht, Nieren- und Blasenleiden, Steinleiden, Rheuma, Gicht, Hautkrankheiten und Atemwegserkrankungen. Er galt als blutreinigend, entkrampfend bei Krämpfen im Bauch und Unterbauch.
Von unseren alten Kräuterkundigen möchte ich hier in eigenen Formulierungen Hieronymus Bock zu Wort kommen lassen. Obwohl er ihn ohne nähere Beschreibung kurz abhandelt. Schreibt er doch, dass der Holder so bekannt und beliebt im Volke sei, dass es keiner genaueren Beschreibung bedarf. Selbst seine zu dieser Zeit einzigartige, botanische Beschreibung, fällt für eine Pflanze mit solcher Bedeutung sehr dürftig aus. Den Holunder empfiehlt er innerlich bei Wassersucht. Vornehmlich die Wurzel werde hierzu in Wein gekocht. Menschen mit schwacher Konstitution empfiehlt er die schwächer wirkenden, im Lenz gesammelten, Blätter. Äusserlich empfiehlt er Holunderwasser bei Sonnenhitze auf die Haut aufzutragen. Bei Schlangenbissen, Fisteln oder faulen Schäden, solle man die grünen Blätter auftragen, wobei hierfür auch das gebrannte Wasser aus den Blüten nützlich sei. Die zerdrückten Blätter führt er als schmerzlindernd beim Gichtzeh an und empfiehlt die reifen Beeren zum schwarzfärben der Haare.
Holundersaft mit Portwein gemischt, im Verhältnis 2 Teile Holundersaft und ein Teil Portwein, soll Ischias in wenigen Tagen heilen. Die Blütenabkochung nutzte man als Mittel zur Schweißerzeugung, bei Fieber, Erkältungs- und Hautkrankheiten, sowie als Gurgelmittel bei Mund- und Halskrankheiten. Die Rinde und die Blätter als blutreinigenden, abführenden, harntreibenden Tee.
Ein aus dem Blüten oder der Wurzel bereitetes Öl diente als Brechmittel.
Auf die heute noch gebräuchliche Verwendung in Form von Holunderwein bzw. die Verwendung der Beeren zum kochen und backen, gehe ich an dieser Stelle nicht weiter ein.
Bei der Verwendung von Holunder ist Vorsicht geboten. Man sollte sich den Holunder in der Vorstellungswelt unserer Ahnen ins Bewusstsein rufen. Er kann Krankheit und Tod schicken oder nehmen. So gab es Vergiftungserscheinungen nach den Genuß ungekochter, frischer Beeren und/oder der Rinde. Die frischen Blüten können auf die Haut gelegt Reizwirkungen ausüben.
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Wuchtbrumme meint
Hallo ich habe eine hochgradige rheumatoide Arthritis.
Welches Kraut ist da für mich gewachsen.
Habe Oroxylum indicum von einer Thailänderin empfohlen bekommen.
Wäre das Kraut auch okay ????
Kai Hagemeister meint
Es gibt viele Pflanzen, die bei einer rheumatoiden Arthritis eingesetzt werden können. Eine Empfehlung kann ich Ihnen da nicht geben. Bitte lesen Sie diesbezüglich den Warnhinweis auf dieser Seite.
Gerne kann ich Ihnen jedoch eine allgemeine Auskunft zu der empfohlenen Pflanze geben. Es handelt sich dabei um den Indischen Trompetenbaum, der sowohl in der Ayurveda, als auch in der TCM eingesetzt wird. In der Ayurveda ist er Bestandteil eines aufwendig hergestellten Kräutermuses, dem Chyawanprash.
Die Wurzelrinde des indischen Trompetenbaumes befindet sich in vielen ayurvedischen Mischungen, die bei Beschwerden wie Rheuma oder Arthritis verabreicht werden. In der evidenzbasierten Medizin gibt es mehrere Studien, die die Wirksamkeit der Wurzelrinde bei Rheuma und Arthritis untermauern.
Helene Brehm meint
Der Holunder ist schon eine wirklich interessante Pflanze. Vielen Dank über diesen tollen Beitrag zum Holunder und der insgesamt guten Seite, die mir schon öfters geholfen hat.