Das Maiglöckchen ist den meisten Menschen lediglich als herzwirksame Giftpflanze bekannt. Dabei war es bis ins 16. Jahrhundert eine hoch geschätzte Heilpflanze, die als Symbol des Arztes diente. Auf einem Holzschnitt aus dem Jahre 1541 ist Kopernikus mit einem Maiglöckchen in seiner Hand dargestellt ((Kopernikus mit Maiglöckchen). Den Holzschnitt ziert die Aufschrift: “Copernikus als Arzt ziert ein Mayen-Strauß, Er rechnete der Welten Laufbahn aus.”
Nicht nur Kopernikus findet sich auf alten Arztbildern mit einem Maiglöckchenstrauß. Auch der italienische Arzt Ulysses Aldrovandi, der schweizer Arzt Johannes Bauhin, oder der deutsche Chirurg Mathias Brock. Wobei letzterer mit einem Reklameblatt für sich warb, auf dem ein Maiglöckchen einem Herzen entspringt.
Dementsprechend hoch geschätzt wurde das Maiglöckchen im ausgehenden Mittelalter.
So empfiehlt Hieronymus Brunschwig im 15. Jahrhundert die Maienblume zur Stärkung des Hirns, der Sinne und des Herzens. Tremor, das Zittern der Hände, werde schnell verschwinden, wenn man Arme und Hände mit Maiglöckchen einreibt. Auch empfieht er bei Kopf- und Gliederschmerzen sich sauber zu waschen und abzutrocknen, um sich danach mit Maienwasser einzureiben.
Auch die anderen Heilkundigen sind voll des Lobes für dieses kleine Giftpflänzchen. Leonhart Fuchs empfiehlt das Wasser der gekochten Wurzel vom Meyenblümlin bei Zahnweh im Mund zu halten und den Saft der Blüten zur Stärkung von Herz, Leber und Hirn sowie zur Behandlung der dunklen Augen.
Adam Lonitzer bezeichnet einen aus dem Maiglöckchen destillierten Wein als wertvoller denn Gold. Zur Herstellung des Maiglöckchenweins gibt er die Blüten in eine Flasche, füllt sie mit Wein und lässt sie 4 Wochen in der Sonne stehen. Danach destilliert er diesen Wein 5 mal mittels einer Alembic Destille. Diesen Wein mit etwas Lavendelwasser und sechs Pfefferkörnern eingenommen, soll einen Monat lang vor einem Schlaganfall schützen. Jeden Morgen einen Löffel davon eingenommen soll die Darmgicht vertreiben und das Hirn stärken. Äusserlich auf die Stirn und hinten aufs Haupt gestrichen soll er die Vernunft bringen. Für das Mitte Mai destillierte Maiglöckchenwasser führt Adam Lonitzer ähnliche Wirkungen an, wie unsere anderen alten Heilkundigen des ausgehenden Mittelalters. Äusserlich ein benetztes Tuch auf die Augen gelegt wirke danach kühlend und nehme die Hitze. Hineingetropft soll es klare Augen bringen. 6 Loth getrunken helfe dem, der Gift gegessen hat. Meyenblumenwasser bringe die Sprache und das Gedächtnis zurück und stärke das Hirn und die Sinne, womit Lonitzer eine Aussage trifft, die man in nahezu allen alten Kräuterbüchern dieser Zeit findet. Auch bei Adam Lonitzer findet sich die Empfehlung bei zitternden Händen Arme und Hände einzureiben. Jedoch nicht mit der Pflanze, sondern mit dem daraus gebrannten Wasser. Das gebrannte Maiglöckchenwasser empfiehlt Adam Lonitzer auch zur Behandlung der entzündeten Leber und bei Herzstechen.
Hieronymus Bock schreibt schliesslich 1577, dass Maiglöckchen ausschliesslich im Mai, wenn sie duften, zu einem Wasser gebrannt werden sollten. Nur dann seien sie nützlich zur Behandlung vieler innerlicher und äusserlicher Gebrechen. Als Gebrechen führt Bock Sprachlosigkeit, Ohnmacht, Schlagnfall, Schwindel, Epilepsie, Schmerzen, Gedächtnisverlust, Gift, Herz und Hirn an.
Daneben setzte man das Maiglöckchen in der Volksheilkunde bei Wassersucht, Schlaganfällen und Krämpfen ein. Mit Branntwein aufgesetzt diente es als Einreibung zur Linderung rheumatischer Beschwerden und zur Linderung von Schmerzen bei Podagra (Gichtzeh). Ein Pulver aus den getrockneten Blüten findet sich im Schneeberger Schnupftabak, der als hifreich bei Schnupfen und Erkältungen galt.
Bei all dem Lob unserer alten Heilkundigen, sollte der Leser nicht vergessen, dass es sich bei unserem Maiglöckchen um eine Giftpflanze handelt, die zum Herzstillstand führen kann. Wohl der ausschlaggebende Grund, weshalb das Maiglöckchen als Heilpflanze in der Volksheilkunde weitestgehend in Vergessenheit geraten ist.
Der unerfahrene Leser sollte also keinesfalls diesen Artikel zum Anlass nehmen, mit Maiglöckchen zu experimentieren. Auch in früheren Zeiten war die Behandlung mit dieser kleinen Giftpflanze allein den Kräuterkundigen und Ärzten vorbehalten. Vergiftungen mit Maiglöckchen sind nicht selten, zumal sie des öfteren mit dem Bärlauch verwechselt werden.
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