Ob Liebstöckel bereits den alten Griechen und Römern bekannt war, muss zumindest bezweifelt werden. Dioskurides rühmt eine Pflanze namens Ligustikon, die ihren Namen ihrem hauptsächlichen Verbreitungsgebiet in den nördlichen Apenninen von Ligurien (Italien) verdankt.
Die dortigen Bewohner nennen diese Pflanze, die bevorzugt in den rauhen Höhen der Berge wächst, Panakes. Diese Pflanze scheint dem Liebstöckel in der Wirkung sehr ähnlich. Dioskurides beschreibt die Wurzel und den Samen des Ligustikon als erwärmend, verdauungsfördernd und entwässernd, und empfiehlt sie bei Schmerzen der Eingeweide, Verdauungsproblemen, Ödemen, Blähungen, geringer oder ausbleibender Menstruation, Harnverhalten oder den Biß giftiger Tiere. A. Tschirch, Pharmakologe der 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts, ist überzeugt davon, dass es sich beim Ligustikon um den uns bekannten Liebstöckel handelt. Eine Auffassung, die mehrheitlich nicht geteilt wird. Berteits Matthiolus schrieb im 16. Jahrhundert:
Sicher ist hingegen, dass Liebstöckel um das Jahr 800 in den kaiserlichen Gärten Karl des Großen und im Klostergarten zu St. Gallen kultiviert wurde. Die Äbtissin Hildegard von Bingen und die italienische Ärztin Trotula rühmen Liebstöckel im 12. Jahrhundert als ausgezeichnetes Mittel zur Regulierung der Menstruation und zur Behandlung von Halskrankheiten. Die Verwendung zur Behandlung von Halsbeschwerden kann man heute noch in Teilen der Schweiz beobachten. Dort nimmt man bei Beschwerden einen der hohlen Liebstöckelstengel und trinkt durch ihn hindurch, insbesondere bei Angina.
Im 16. und 17. Jahrhundert wird Liebstöckel in den meisten Kräuterbüchern aufgeführt. Meist wird die Pflanze aufgrund ihrer Heilkraft gerühmt. Hieronymus Bock schreibt über das Liebstöckel gleich nach der Angelika (Engelwurz) und nennt die beiden Pflanzen Geschwister sowohl im Aussehen als auch in der Wirkung. Über die Wirkung des schreibt Bock:
Matthiolus schreibt dem Liebstöckel ähnliche Wirkungen zu, wie dies Bock tut nur beschreibt er darüber hinaus eine stein- und windtreibende Kraft. Ab dem 18. Jahrhundert verwendete man das Liebstöckel hauptsächlich als entwässerndes und magenstärkendes Mittel.
Botanik
Das Liebstöckel ist eine bis zu 2 Meter hohe, ausdauernde Staude aus der Familie der Doldenblütler. Aus dem geringelten, langen, fleischigen, außen gelblich-braun und innen weißen Wurzelstock des Liebstöckels, spriessen runde, zart-gerillte, hohle, unbehaarte , oberwärts ästige Stengel, die stattliche unten doppelt-, oben einfach fiederteilige Blätter tragen. Die sich im Juni bildenden blaßgelben Blüten bilden kleine 6-12 strahlige Dolden.
Bezeichnungen
Hieronymus Bock hielt den Namen Liebstöckel für eine Umdeutung der lateinischen Bezeichnung Levisticum, welche wiederum auf eine Korumpierung der eigentlichen Bezeichnung Ligusticum zurückzuführen sei. Eine Deutung, der ich mich nur anschließen kann. Wahrscheinlich ist somit auch, dass es sich entgegen verschiedenster Spekulationen, beim Liebstöckel doch um das durch Dioskurides beschriebene Ligustikon handelt, dessen Namen es seinem damals hauptsächlichen Verbreitungsgebiet Ligurien verdankt.
Wissenschaftlich wird die Pflanze als Levisticium officinale bezeichnet. Den Ursprung für die Gattungsbezeichnung habe ich bereits erläutert. Die Artbezeichnung officinale weist sie als Heilpflanze aus, lat. officina -> Apotheke.
Weitere volkstümliche Namen sind Badekraut, Gebärmutterwurzel, Labstockwurzel, Leberstockwurzel, Liestewurzel, Neunstockwurzel, Sauerkrautwurzel, Neunstöckel, Lüppstöckel, Lüppsteckel, Maggikraut oder Bergliebstöckel.
Indikationen
In der Volksheilkunde wird Liebstöckel bei Wassersucht, Blähungen, Gelbsucht, Steinleiden, Erkrankung der Bronchien, Verschleimung von Lunge und Darm, Nervenschwäche, Impotenz, mangelnder Menstruation, nervösen Herzleiden, Migräne, Pyelitis, Cystitis, Albuminurie, Dyspepsie, Beschwerden der Milz, Gicht, Rheuma, Amenorrhö, übermäßigen und übelriechenden Schwitzen, Herzleiden sowie mangelafter Stuhlentleerung.
Äußerlich werden Bäder mit Liebstöckel als stärkend für den Unterleib beschrieben. Darüber hinaus die Pflanze bei Wunden und Geschwüren als Wundwasser eingesetzt.
Die Heilpflanze dürfte den meisten jedoch als Gewürz bekannt sein.
Verwendung in der Homöopathie
In der Homöopathie verwendet man Liebstöckel als Diureticum.
Liebstöckel Anwendung und Wirkung
In der Volksheilkunde wird meist die Wurzel des Liebstöckels verwendet. Örtel empfiehlt die Wurzel im Herbst auszugraben. Aus eigener Erfahrung würde ich die Wurzel im Frühjahr ausgraben und medizinisch verwenden, wie es mir bereits meine Großmutter vermittelte. Eine Auffassung die im übrigen auch von Kosch gestützt wird.
Die getrocknete Wurzel des Liebstöckels zu Pulver vermahlen, kann als Gewürz bei Magenbeschwerden oder zur Entwässerung über das Essen gestreut werden, eins bis zwei Messerspitzen.
Die Samen des Liebstöckels werden von Bock als noch wirksamer beschrieben, als das Wurzelpulver. Liebstöckelsamen mit Anis, Fenchel, Zimt und Zucker vermischt und zu Pulver zerstoßen und davon täglich 3 bis 4 Teelöffel in Wein eingenommen wirken entblähend.
Liebstöckelwurzel und Liebstöckelsamen in Wein gekocht wird von Bock als Melancholie vertreibendes Mittel empfohlen, das auch gegen die Gelbsucht wirkt.
Die gebräuchlichste Verwendung ist ein Dekokt oder Liebstöckeltee.
Liebstöckel-Dekokt
Für einen LiebstöckelDekokt wird ein halber Teelöffel getrocknete Liebstöckelwurzel 15 Minuten in 250 ml Wasser gekocht. Liebstöckeldekokt fördert die Verdauung, wirkt Blähungen entgegen, entwässert, führt zu einer besseren Durchblutung der Verdauungsorgane und ist hilfreich bei Verschleimung der Atmungs- und Verdauungsorgane, Wassersucht und Herzleiden. Von diesem Liebstöckel-Dekokt wird in der Volksheilkunde 2 mal täglich eine warme Tasse bei Beschwerden verabreicht.
Äußerlich aufgetragen helfen Waschungen mit Liebstöckeldekokt bei unreiner Haut. Er kann für diesen Zweck auch Bädern zugesetzt werden, wobei er auch die Unterleibsorgane stärkt.
Liebstöckeltee
Zur Bereitung von einem Liebstöckeltee überbrüht man einen halben Teelöffel getrocknete Liebstöckel-Wurzel mit 200ml kochenden Wasser und läßt diesen Aufguß 15 Minuten ziehen.
Liebstöckeltee ist schleimlösend, erwärmend und erregend. Er wurde bei Wassersucht, chronischen Herzleiden, Hysterie, verschleimter Lunge, verschleimte Harnwerkzeuge und zur Beförderung der Menstruation eingesetzt.
Liebstöckeltee wurde traditionell bei Gelbsucht mit Anis und Fenchel gekocht.
Liebstöckelextrakt
Hieronymus Bock empfiehlt Liebstöckelextrakt bei Leibschmerzen, Blähungen und Verdauungsbeschwerden. Tabernaemontanus empfiehlt Liebstöckelextrakt bei den meisten unter Indikationen aufgeführten Beschwerden, insofern er aus den grünen oder dürren Wurzeln erstellt wird.
Liebstöckelöl
Liebstöckelöl kann man auf verschiedene Art und Weise herstellen.So können die Liebstöckelblätter und die Liebstöckelwurzel in Olivenöl gekocht werden. Alternativ kann man die Mischung nur mazerieren statt zu kochen oder man kocht und mazeriert anschliessend. Letztere Methode führt zum intensivsten Liebstöckelöl. Dieses Liebstöckelöl sollte nicht mit dem Liebstöckelöl verwechselt werden, welches man durch Destillation erhält. Letzteres sollte nur in geringsten Mengen verwendet werden. Bei Leibschmerzen reichen bereits zwei bis drei Tropfen dieses Liebstöckelöls auf einen Schluck Wein.
Liebstöckelwein
Liebstöckelwein kann man ebenfalls auf vielerlei Arten herstellen. Die wohl einfachste Methode ist, klein geschnittene Liebstöckelwurzel in Wein einzulegen.
Rezepte nach Madaus 1938
Liebstöckel bei Hydrops und Cysto- und Nephropathien:
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(Teezubereitung: Der im Verhältnis 1 : 10 aus der Wurzel bereitete Tee ergibt heiß einen Extraktgehalt von 3,79% gegen 4,39% bei kalter Zubereitung. Der Glührückstand beträgt bei heißer Zubereitung 0,26%, bei kalter Zubereitung 0,29%. Geschmacklich erweist sich der heiß zubereitete Tee etwas stärker. Die Peroxy !X!lasereaktion ist bei beiden Zubereitungen sofort stark positiv. Der im Verhältnis 1 : 50 hergestellte Tee ist noch trinkbar. Bei heißer Zubereitung erhält man einen Ölgehalt von 0,31%, bei kalter einen solchen von 0,11%.
1 Teelöffel voll wiegt 5,4 g, so daß man für 1 Teeglas zweckmäßig 1/2 Teelöffel verwendet und den Tee im Hinblick auf den höheren Ölgehalt zweckmäßig heiß ansetzt.).
Liebstöckel bei Magenschwäche (nach P. Flämig):
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Liebstöckel als Diuretikum:
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Liebstöckel bei Geschwüren usw. als Badezusatz (nach Kroeber):
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Liebstöckel als Diuretikum (nach Hauer):
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Liebstöckel in der evidenzbasierten Medizin
Liebstöckel wird in der Schulmedizin eine harntreibende, verdauungsfördernde und krampflösende Wirkung zugestanden. Als hauptsächlich wirksame Substanz werden Alkylphthalide beschrieben. Die Wirkung ist lokal reizend und somit aus Sicht der Schulmedizin nicht uneingeschränkt zu empfehlen.
Gegenanzeigen und Nebenwirkungen
Bei massvoller Verwendung sind keine Nebenwirkungen für das Liebstöckel bekannt. Da die Wirkung des Liebstöckels auf eine Reizung, beispielsweise Reizung des Nierenparenchyms zurückzuführen ist, kann Liebstöckel nicht uneingeschränkt empfohlen werden.
Anbieter und Preis
Liebstöckel ist in unseren Breiten fast ausschließlich als Gartenpflanze vorzufinden. Heimisch ist Liebstöckel in Südeuropa. Es bietet sich an, die Pflanze im eigenen Garten anzusiedeln. Alternativ kann man Liebstöckelwurzel, Liebstöckelsamen, Liebstöckelblätter oder Liebstöckeltinktur im Kräuterhandel kaufen. 100g Liebstöckelwurzel oder Liebstöckelblätter erhält man im Durchschnitt zu einem Preis von 3 Euro. 100ml Liebstöckeltinktur kosten im Mittel 7 Euro.
Inhaltsstoffe
Ätherisches Öl mit bis zu 70% Alkylphthaliden wie Butylphthalid und Ligustilid, Hydroxycumarine und Furanocumarine, Phelandren, Pinen, Harz, Bitterstoffe, Gerbstoffe, Stärke, Zucker, Fett, Gummi, Eiweiß, Schleim, Organische Säuren. Für den Maggigeruch ist das Ligustilid verantwortlich.
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