Im Frühneolithikum (5500 – 4300 v. Chr.) sind die ersten Bauern im mitteleuropäischen Raum nachgewiesen. Sie bevorzugten fruchtbare Lössböden, so dass deren Verbreitung in Deutschland bis ins nördliche Harzvorland und ins Leinetal die Ausbreitung der neuen Wirtschaftsweise markiert. A. Galik von der Universität Wien schließt aus Knochenfunden, dass in dieser Zeit den Haustieren als Fleischlieferanten eine besondere Bedeutung zukam. Auf die Nutzung als Fleischlieferanten weist ein überproportional hoher Anteil juveniler Knochen bei den Funden hin. Bevorzugt wurde das Rind, gefolgt von Schaf und Ziege. Schweine spielten im Vergleich eine untergeordnete Rolle.
Im Mittelneolithikum (4300 – 2900 v. Chr.) breiteten sich Ackerbau und Viehzucht immer mehr ins Flachland aus, das um 3700 v. Chr. als neolithisiert gelten kann. Nach benecke94 finden sich in dieser Zeit vermehrt die Knochen adulter weiblicher Tiere, was auf eine Nutzung der Milch hinweist. Der Anteil der Ziegen ist im Flachland zu vernachlässigen und liegt bei unter 20%. In bergigen Regionen steigt der Anteil der Ziegen auf bis zu 60%.
Im Spätneolithikum (2900 v. Chr. bis zum Beginn der Bronzezeit) entstanden längere Zeit anhaltende bauliche Strukturen. Zuvor bestand eine hohe Mobilität. Ausgrabungen weisen darauf hin, dass Ziegen im Spätneolithikum zumindest teilweise im Haus gehalten und mit Zweigen und Blättern gefüttert wurden. Funde von Gerätschaften wie Quirle, Siebe und Spinnwirtel lassen vermuten, dass bereits Käse hergestellt und Wolle verarbeitet wurde.
In der darauf folgenden Kupfer- und Bronzezeit sorgte die Herstellung von Werkzeugen und Waffen für einen gewaltigen Fortschritt, der durch die darauf folgende Eisenzeit nicht übertroffen werden konnte. Eisen, das besonders im Flachland in Form von Raseneisenerz verfügbar war, ersetzte lediglich Bronze und Zinn. Knochenfunde bei Kratzeburg in Mecklenburg Vorpommern von überwiegend adulten Ziegen weisen darauf hin, dass bereits in der Bronzezeit sowohl Ziegen als auch Schafe nicht mehr primär als Fleischlieferanten gehalten wurden. Primär stand bereits die Nutzung von Milch und Wolle im Vordergrund lüning97.
Während der Eisenzeit (800 – 0 v. Chr.) begann man, schriftliche Dokumente zu hinterlassen. Sie markiert damit den Abschluss der Vorgeschichte und den Eintritt in die Frühgeschichte. Gegen Ende der Eisenzeit entstanden ausgedehnte Grünlandflächen. Gefundene Geräte zur Wiesenbewirtschaftung legen nah, dass diese Flächen zur Gewinnung von Winterfutter gemäht wurden.
Mit der römischen Epoche (0 – 500 n. Chr.) beginnt eine grundlegende Änderung der agrarischen Produktionsstruktur. Es entstanden landwirtschaftliche Grossbetriebe, die die städtische Bevölkerung mit Agrarprodukten belieferten. Der römische Agrarschriftsteller Columella (1. Jh. n. Chr.) beschreibt in seinen landwirtschaftlichen Lehrbüchern für Italien auch die Haltung von Ziegen, die in Herdengrößen von 50 – 100 Tieren extensiv weiden und im Winter im Stall gehalten werden. Als Zuchtziel wird eine hohe Milchleistung und Wollproduktion angegeben.
Im anschließenden Mittelalter (500 – 1500 n. Chr.) genießt die Ziegenhaltung hohes Ansehen. Karl der Große soll eine besondere Vorliebe für Käse gehabt haben und förderte die Ziegenzucht, wie überlieferte Urkunden beweisen. Bereits im 14 Jh. änderte sich die Einstellung zur Ziege. Da das Ackerland begrenzt war, wurden Ziegen oft zum Weiden in den Wald getrieben. Die dadurch entstehenden Forstschäden führten am 13. Mai 1338 zu einer Waldordnung zwischen Sinzig und der Herrschaft Landskron. Darin wurde das Verbot erteilt, im Kirchspiel Heckenbach Ziegen zu halten. Im Wald vorgefundene Ziegen sollten vom Förster eingefangen und verkauft werden kurth89.
Auch im 16 Jh. ändert sich an dem Bild der Ziege als Forstschädling nichts. So legte man den Besitzern in der Pfalz nahe, ihre Tiere abzuschaffen. 1560 ergeht in Kursachsen und 1685 in Preußen das Verbot, Ziegen in Wälder zu treiben hesse02. Ähnlich sieht es in anderen europäischen Ländern aus. So verbietet das Parlament von Grenoble die Ziegenhaltung in einem Teil der Provinz Dauphinée gall01.
1720 verbietet der Kurfürst von Trier die Waldweide von Ziegen durch eine Forstordnung um die durch die Eisenindustrie verwüsteten Gebiete wieder aufzuforsten. Trotzdem nahmen Ziegenbestand und Forstschäden enorm zu, so dass er befahl, alle Ziegen zu erschießen.
1773 war im Kurfürstentum Trier nur noch Leuten, die sich aufgrund ihrer Armut keine Kuh leisten konnten erlaubt, eine Ziege im Stall zu halten. Außerdem wurde ein Ziegengeld als Abgabe für jede gehaltene Ziege verlangt kurth89. Ähnliches gilt für andere Gebiete. So wird 1791 in einer Verordnung auch in der Pfalz untersagt, Ziegen zu besitzen, wenn man in der Lage ist, eine Kuh zu halten. In der Verordnung heißt es:
“Leuten, welche eine Kuh zu halten im Stande sind, keine Geisen zu halten gestattet ist. Armen Gemeindsleuten, Hintersassen, Hirten, Bergarbeitern sei es erlaubt, zwey Geisen oder Böcke und zwey Zicken ohnentgeltlich zu halten.” hesse02
Im Sauerland verpflichtet man alle grundlosen Ziegenbesitzer, ihren Bestand auf eine Ziege zu reduzieren, insofern sie kein Huderecht besitzen. Ziegen wurden in dieser Zeit überwiegend unter erbärmlichen Bedingungen in dunklen Löchern gehalten, die ein anderes Haustier kaum hätte überstehen können. Ziegenhalter sind hauptsächlich die ärmeren Bevölkerungsschichten, wie Tagelöhner, Grundbesitzlose oder arme Familien. Für sie spielte neben dem fehlenden Weideland der Preis für eine Ziege eine wichtige Rolle. So bezahlte man im 19 Jh. zwischen 5 und 6 Thaler für eine Ziege, währendessen eine Kuh zwischen 30 und 50 Thaler kostete kurth89. Diese Voraussetzungen bewegten Markgraf Friedrich Carl Alexander 1790, im Gegensatz zur allgemeinen Stimmung gegen die Ziegenhaltung, dazu, seinen Untertanen die Haltung von Ziegen, zur Verbesserung der Versorgung ihrer Familien, zu empfehlen. Auch in Bergwerksorten war die Ziegenhaltung sehr beliebt, weil man glaubte, dass Ziegenmilch gegen Lungentuberkulose helfen würde hesse02.
Bis zum Ende des 19. Jh. konnte von einer Ziegenzucht kaum die Rede sein. Vornehmliches Ziel war die Versorgung der Familie mit Milch. Inzucht bei der Ziegenzucht war nicht selten, da oft der Bock aus der eigenen Nachzucht verwendet wurde. Auslauf und Pflege für die Tiere ist unbekannt. Sie werden oft ganzjährig in dunklen beengten Stallungen gehalten, die mit Luftlöchern und einem Urinabfluss ausgestattet sind.
Aus diesen desolaten Verhältnissen wurde zwischen 1884 und 1927 aus privater Initiative die Edelziege gezüchtet. Der Landwirt Christian Dettweiler importierte 1884, zur Verbesserung der weissen Schläge in Hessen, die ersten Appenzeller Ziegen aus der Schweiz. 1887 importierte er gemsfarbige Schwarzberg-Guggisberg Ziegen und begründete die Zucht der Wintersheimer Ziege, die in geringem Maß die Harzziege beeinflusste und heute nicht mehr existiert. 1890 richtete die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) auf Betreiben von Dettweiler auf einer Ausstellung in Straßburg erstmals eine eigene Abteilung für Ziegen ein. 1892 importiert der Brauereibesitzer Ulrich aus Pfungstadt auf Veranlassung von Dettweiler Saanenziegen aus der Schweiz um die Milchleistung der eigenen Ziegen zu verbessern. Kurz darauf wurde der erste Ziegenzuchtverein in Pfungstadt gegründet. 1894 entstanden weitere Ziegenzuchtvereine in Hessen und 1895 etablierte die DLG einen Sachverständigenausschuss für Ziegenzucht. 1901 wurde in Hessen die Körordnung erlassen, womit erstmals eine jährliche Prüfung von Böcken auf Zuchttauglichkeit erfolgte. 1926 gründete sich bei Bad Freienwalde die Versuchswirtschaft Hohenwutzen für Ziegenhaltung und Fütterung. 1927 fasste der Reichsverband deutscher Ziegenzüchter-Vereinigungen und die DLG die weißen vorhandenen Schläge unter der einheitliche Bezeichnung Weiße Deutsche Edelziege zusammen. Die bunten Schläge wurden zur Bunten Deutschen Edelziege zusammengefasst. Im Gegensatz zur Weißen Deutschen Edelziege spielte bei der Bunten Deutschen Edelziege die Einkreuzung importierter Rassen eine untergeordnete Rolle. Sie ist vornehmlich aus der Selektion der vorhandenen bunten Schläge entstanden. gall01
Mit zunehmenden Wohlstand nimmt der Umfang und die Bedeutung der Ziegenhaltung in Deutschland ab. Der 1922 erreichte Höchststand an Ziegen sank kontinuierlich, unterbrochen durch Zunahme in der Zeit des zweiten Weltkrieges. 1977 erreichte die Bedeutung der Ziegenhaltung in Deutschland ihren Tiefststand. Bei der durchgeführten Viehzählung erfasste man gerade einmal 36 000 Tiere. Als Konsequenz wurden Ziegen in den darauf folgenden Viehzählungen nicht mehr berücksichtigt, so dass die zu findenden Zahlen auf Schätzungen des Bundes Deutscher Ziegenzüchter beruhen.